Kochen und Märchen erzählen haben so viele interessante Gemeinsamkeiten – da komme ich bestimmt in zukünftigen Beiträgen immer mal wieder darauf zurück. Heute folge ich der Spur von Märchen als Fastfood und was ein Märchen gut erzählt macht.
Sowohl das Kochen und auch das Erzählen kann man lernen.
Das Lernen und eine Ausbildung nützen einem jedoch wenig, wenn du nicht ins Tun kommst. Denn, vor allem, braucht es Übung, Übung, Übung!
Warum schmeckte Omas Kartoffelsalat so gut? Weil sie ihn mehrmals die Woche machte – und das ein Leben lang!
Wenn du ein Märchen zum ersten Mal erzählst, ist es in der Regel noch roh und nicht ausgereift – es geht ja erstmal darum, dass du den Schritt in die Öffentlichkeit wagst und deine Kunst zeigst.
Jedoch macht es einen riesigen Unterschied, wenn du etwas jahrelang immer wieder erzählst und verfeinerst. Dabei entwickelst du ein Fingerspitzengefühl und das gewisse Etwas, das ein einfaches Rezept in ein köstliches Gericht und ein Märchen in Erzählkunst verwandelt.
Was nun aber das Kunstwerk betrifft, meine Lieben, so meine ich, es sei damit ungefähr so wie mit dem Sauerkraut. Ein Kunstwerk, möcht‘ ich sagen, müßte gekocht sein am Feuer der Natur, dann hingestellt in den Vorratsschrank der Erinnerung, dann dreimal aufgewärmt im goldenen Topfe der Phantasie, dann serviert von wohlgeformten Händen, und schließlich müßte es dankbar genossen werden mit gutem Appetit.
Wilhelm Busch: „Eduards Traum“
Wie zum Kochen auch das Wissen um die Zutaten und Rezepte gehören, braucht es fürs Märchen erzählen, dass du verstehst, wie eine Geschichte aufgebaut ist und wie du ihre Worte in gesprochene Sprache verwandeln kannst.
Das Märchen ist wie das Rezept fürs Kochen. Allerdings nützt dir das beste Rezept nichts, wenn du nicht weißt, wie du es umsetzen kannst. Dazu brauchst du Erfahrung, musst die Zutaten kennen und deinen Geschmack schulen. Es ist nicht nur das Rezept, das ein gutes Essen ausmacht.
Erst die Fertigkeiten des Kochs schaffen aus einem Haufen Zutaten etwas Köstliches. Neulich sagte jemand: „Irgendwie isst man auch ein Stück des Kochs mit.“ Nicht das Märchen macht also die Erzählkunst – sondern, wie die Erzählerin das Märchen zum Leben erweckt.
Sammler, Märchen erzählen und die Kochkunst
Eigentlich beginnt das Kochen schon mit der Vorbereitung und der Auswahl der Zutaten – das Erzählen mit der Suche nach dem Märchen.
Der Wunsch eines Tages Märchen erzählen zu können, treibt so manche Märchenliebhaber in eine regelrechte Sammelwut. Sie sammeln unzählige Märchenbücher und Märchen – und oft wars das dann auch.
Statt den Sprung ins Kalte Wasser zu wagen und mit dem Märchen erzählen zu beginnen, bleibt die stete Suche nach: noch mehr Märchenbücher.
Bleib nicht im Sammeln stecken!
Sei nicht eine von jenen, die zwar in ihrer Hightech Küche eine riesige Sammlung von Kochbüchern stehen haben, doch höchst selten selber kochen.
Man muss den Text in den Mund nehmen, ihn schmecken.
Besser ists ins Tun zu kommen: wähle ein Märchen aus und verbringe Zeit mit ihm. Schmecke deine Geschichten, lass dir ihre Sprache auf der Zunge vergehen. Schau auch nach rechts und links, denke um die Ecke und lerne die Variationen der Märchen kennen. Das alles braucht seine Zeit und vor allem Hingabe.
Lass dich wirklich auf ein Märchen ein.
Erzählkunst ist keine Instantsuppe
Viele Menschen denken, auch in der Kunst muss alles im ersten Wurf fertig sein.
Instant eben.
Das Ergebnis soll sofort fertig sein, wie eine Instantsuppe.
Wir sind so fixiert auf Endprodukte und übersehen dabei, dass auch in einer Instantsuppe viel Zeit, Energie und Mühe in der Herstellung steckt. Nur ist diese ganze Entwicklungszeit für die Verbraucher unsichtbar. Wir sehen nur die „schnelle“ Kochzeit der Suppe.
Ich erinnere mich an diese Frau, die für 5 Tage bei meinem Theaterlehrer Tony Montanaro Unterricht nahm. Sie hatte eine Liste von Märchen im Gepäck, die sie in den Tagen lernen wollte. Bühnenreif! Und das als totale Anfängerin, sie hatte weder eine Ausbildung im Theater, noch Erfahrung mit dem Erzählen vor Publikum.
In 5 Tagen wollte sie erzählen lernen und danach Profierzählerin sein!
Sie wollte Märchenerzählerin werden und war der Meinung, dass sie nach der Woche sofort vom Beruf als Geschichtenerzählerin leben kann. Ihren Brotjob hatte sie deshalb schon gekündigt!
Es war, wie wenn sie mit ein paar Beuteln Instantsuppe ein gut laufendes Gourmetrestaurant eröffnen wollte.
Willst du Fastfood oder Gerichte für Feinschmecker?
Ich würde mir wünschen, dass mehr Menschen, die Märchen erzählen, sich nicht mit Märchen-Fastfood und Schnellmenüs begnügen würden.
Ich beobachte auch beim Erzählen einen Trend zu vorgefertigten, manchmal eingefrorenen Fertiggerichten, die eigentlich aus der Hand von jemand anderem kommen und lediglich aufgewärmt werden.
Was ich damit meine?
Zum Beispiel werden im Internet Märchen gesucht, auswendig gelernt und erzählt – ohne sich mit der Erzählung – oder gar der Kultur, aus der sie stammt – auseinander zu setzen.
Andere gehen in eine Erzählaufführung, lassen ein Aufnahmegerät mitlaufen und „haben dann die Geschichte“. Ohne Ethik und Skrupel dem Erzähler gegenüber – oder auf das Urheberrecht zu achten.
Viele wollen Märchen erzählen, ohne sich selber zu bemühen.
Bei mir landen regelmäßig Emails, in denen ich nach dem Text von einem Märchen gefragt werde. Keiner kam bisher auf die Idee, dass auch für mich solche Recherche Arbeit bedeutet – für die ich normalerweise bezahlt werde.
Vor Jahren habe ich bei solchen Anfragen gratis weitergeholfen – und noch nicht einmal ein Dankeschön dafür bekommen. Die Märchen wurden sicher nicht mal erzählt, denn hier ging es häufig nur ums „Haben wollen“.
Das meine ich mit „Märchen als Instantsuppe“.
Alte Märchen sind ein wertvolles Kulturerbe und stammen zudem häufig aus einer anderen Kultur. Wir sollten sie mit Achtung behandeln. Ihnen unsere Zuwendung und Zeit schenken ist das mindeste, wie wir diejenigen würdigen können, die die Geschichten weitergetragen haben – und das ist das Gegenteil von Schnellschnell und Fast-Food.
Das Publikum erkennt sehr wohl den Unterschied zwischen Märchen-Fastfood und Erzählkunst. Lebendig erzählte Märchen sind Nahrung für Kopf und Herz. Zur Nahrung werden sie, wenn du sie mit Liebe und Hingabe zubereitest. Dann kann man sie riechen, schmecken, kauen, verdauen und genießen – und sie werden zur Seelennahrung.
Foto:
Das ist kein Foto aus einem Laden oder Museum! Diesen Blick in die traditionelle Küche habe ich im Himalaya eingefangen. In diesen blank gescheuerten Töpfe aus Kupfer und Messing wurde und wird gekocht. Ich war in Ladakh (Nordindien, kulturell: West-Tibet) unterwegs, um für mein Erzählprogramm mit Geschichten vom Dach der Welt zu recherchieren und durfte neben dieser schönen Küche wohnen.
Lesetipp:
Das märchenhafte Kochbuch für die ganze Familie, von Stevan Paul: Heute koch ich, morgen brat ich: Märchenhafte Rezepte *
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