Was ist Kunst für mich - Wie Bali mein Künstlerleben beeinflusste
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Was ist Kunst für mich – Wie Bali mein Künstlerleben beeinflusste

Text © Uschi Erlewein

Aktualisiert: 18. Januar 2022


Am Ende meines Kunststudiums, vor über 30 Jahren, reiste ich für drei Monate nach Bali, Java und Lombok. Diese Reise warf eine tiefgreifende Frage in mir auf, “ Was ist Kunst für mich ?“ Eine Frage, über die ich oft nachdenke und sie ist Anstoß für so manchen Blogbeitrag über die Kunst und das Leben.

Impulse für mein Künstlerleben habe ich von verschiedenen Seiten bekommen. Ich hatte das Glück während meiner künstlerischen Ausbildung vielen guten Lehrern zu begegnen. Die meisten waren inspirierend und haben mir viel beigebracht.

Doch ein richtungsweisendes Erlebnis war meine erste Fernreise nach Indonesien.

Der Alltag in Bali war von Kunst und Spiritualität durchdrungen

Was mich in Bali zutiefst beeindruckte, war die Durchdringung des Alltags mit Religion und Kunst.

Kunst war nicht etwas aus dem Normalen losgelöstes, sondern wahre Alltagskultur.

Der Reisbauer, der seine Reisterrassen anlegte, machte Landart mit dem selben Gefühl für Proportion und Können, wie ein Künstler.

Die Frau vom Warung, dem Essenstand an der Strasse, die uns vor einer Stunde Nasi Goreng, Reis mit Gemüse, gebraten hatte, tanzte auf der Bühne im Tempel wie ein Engel.

Alle Menschen machten Kunst. Sie waren Marktfrauen, Häuserbauer oder Fahrer – und zugleich Musiker, Tänzerinnen, Maler und Holzschnitzer. Alle Frauen beherrschten die Kunst, wie man Opfergaben aus Palmblättern, Blüten, Obst und Reis herstellt.

Kunst war so selbstverständlich! Und nicht wenigen Spezialisten überlassen.

Besonders begabte Künstler spielten Wayang Kulit, das Schattentheater, übernahmen besondere wichtige Aufträge, bemalten die Decken im Palast oder schnitzten die heiligsten Masken für den Tempel.

Artikelfoto: Was ist Kunst für mich - Wie Bali mein Künstlerleben beeinflusste

Eine Tänzerin tanzte nicht fürs Publikum, sondern für die Götter. Ganz langsam, fast zögerlich betrat sie die Bühne, um dann in eine andere Welt hinüber zu gleiten.

Sobald sie zu tanzen begann, war ich hingerissen und fasziniert. Konnte mein Auge für Stunden nicht vom Geschehen auf der Bühne lösen.

Die Zeit stand still und ich verstand zwischen den Sprachen. Verstand mit dem Herzen, dem Körper, dem ganzen Sein.

Da war nichts von Selbstverliebtheit und Ego, wie ich es von westlichen Künstlern kannte. Das waren keine Menschen, die etwas aufführen, um zu zeigen, was sie können. Auch nicht, um sich abzuheben von der Masse oder sich auszudrücken.

Es spielte durch sie hindurch. Sie liehen ihren Körper etwas Überpersönlichen, das durch sie hindurch fließt. Es war das, was man auf Bali Taksu nennt und das man vielleicht am ehesten mit Charisma übersetzen könnte.

Kunst war auf Schritt und Tritt erlebbar

Irgendwann erklärte mir jemand:

„Es gibt kein balinesisches Wort für Kunst – wir leben sie.“

Wie konnte das sein?! Es gibt kein balinesisches Wort für Kunst – doch auf Schritt und Tritt ist Kunst sichtbar und erlebbar?!

Jeder Reisbauer, Fahrer oder Fischer hatte ebenso viel Kunstverständnis wie ein Lehrer, Priester oder Brahmane.

Am ehesten beschreibt das Wort „Sani“ die künstlerische Arbeit. Sani bedeutet: anbieten, geben, opfern. Die Kunst war also eine Opfergabe an die Götter und Dämonen. Die Kunst war ein Mittel, um Harmonie in der Welt zu schaffen und etwas für die Gemeinschaft zu tun.

Keiner auf Bali machte Kunst. Sie leben ihre Kultur. Und das mit Leib und Seele.

Kunst um der Kunst willen, kannte man auf Bali früher nicht. Während bei uns der Künstler oft im Mittelpunkt steht, ist er in Asien häufig unbekannt. Künstlerische Werke dienen religiösen oder meditativen Zwecken. Man schnitzt Masken, singt, tanzt oder spielt in einem Gamelanochester.

Schattenspiel fand im Tempel statt. Der Puppenspieler war Priester und Künstler. Er machte keine individuelle Kunst, sondern spielte und erzählte Geschichten für die Götter. Als Geschenk für die Götter.

Musik, Tanz, Rezitation, Schattenspiel waren ein wichtiges Element der heiligen Zeremonien. God Entertainment steht noch heute am Eingangstor zum Theater der berühmten Tanzgruppe Balerung.

Kunst schuf eine Brücke zwischen den Menschen und der Welt der Götter.

So war das damals.

Artikelfoto: Was ist Kunst für mich - Wie Bali mein Künstlerleben beeinflusste

Wie diese Reise nach Indonesien mein Künstlerleben beeinflusste

In Bali und Lombok erlebte ich, dass es im Theater und der Kunst nicht um die perfekte äußere Form geht. Bühnentechnik und Technologie sind nur Mittel zum Zweck.

Auf was es ankommt, ist dieses Geschehen, der tiefe Dialog und Ausdruck der inneren Prozesse und weniger das Äußerliche.

Da war dieses Unbeschreibliche, Überpersönliche, das einen zutiefst ergreift. Theater ist Inspiration. Öffnen des Geistes. Dieses Durch-Einen-Hindurch-Fließen, das man in Bali Taksu nennt. Bei allem, was geschieht, gibt es eine sichtbare und unsichtbare Ebene. Ich habe erlebt, dass alles, was gespielt, erzählt, getanzt wurde, auch geschah. In einer Parallelwelt, die sich dem menschlichen Auge meist nicht erschliesst.

Dafür muss sich der Spieler vorbereiten. Nicht jeder kann alles spielen. Je nach seiner menschlichen Reife spielt er nur die Geschichten, denen er auch gewachsen ist.

Als ich das alles erlebte, begann mein europäisch geprägter Kunstbegriff zu wanken. Eine Frage stieg in mir auf: „Was ist Kunst für mich?“

Vieles von dem Erlebten fand seinen Niederschlag in meiner künstlerischen Arbeit. Bei dieser Studienreise verstand ich etwas, das ich damals noch nicht benennen konnte. Es sollte noch viele Jahre dauern und meinen Theaterlehrer Tony Montanaro brauchen, bis ich es ganz erfassen konnte.

Ein grundlegender Wandel meines Theater- und Kunstverständnisses hatte eingesetzt.

Artikelfoto: Was ist Kunst für mich - Wie Bali mein Künstlerleben beeinflusste

Von Beruf, freischaffende Künstlerin

Als ich von der Reise nach Hause kam, meldete ich mich beim Finanzamt als freischaffende Künstlerin an. Mein professionelles Künstlerleben begann. Ich hatte ja schon immer gemalt, mit Ton gearbeitet, geschrieben, gewebt, gezeichnet. Später dann Malerei – Graphik, Kunsttherapie, Puppenspiel und Puppenbau studiert.

Doch jetzt startete mein berufliches Leben als freischaffende Künstlerin. Jetzt war das mein Beruf, von dem ich mein Leben finanzierte. Ein einschneidendes Erlebnis, das inspiriert war von der Reise nach Bali:

Leben und Kunst sind nicht getrennt,
sie spiegeln und beeinflussen sich gegenseitig.

Was ist Kunst für mich? 30 Jahre später …

Heute weiß ich, wie tief diese Reise nach Bali mein Künstlerleben und meinen Zugang zur Kunst geprägt hat. Manchmal braucht es lange Jahre, bis dir klar wird, was richtungsweisend auf deinem Weg war.

2014 feierte ich 30 Jahre frei & schaffend und reiste wieder nach Bali.

Vieles hatte sich verändert und was ich damals erlebt hatte, gehört heute der Vergangenheit an. Heute wird in Bali im westlichen Sinne Kunst gemacht. Es gibt professionelle Künstler, deren Bilder, Skulpturen und Masken im internationalen Kunstmarkt gehandelt werden. Viele produzieren für den Verkauf an Touristen.

Doch dieses andere, spirituelle, Kunstverständnis lebt im Verborgenen weiter. Ich hatte Glück und begegnete den richtigen Menschen. So konnte ich dem nachspüren, was mich damals so beeindruckt hatte …

Ach ja, die Frage …
„Was ist Kunst für mich?“
mit einer Antwort habe ich mich noch nicht zufrieden gegeben.
Die Frage „Was ist Kunst für mich?“ begleitet mich noch immer.

Und denke, das ist auch gut so …


In meinem Erzählprogramm „Von Drachen und Unsterblichen – Mythische Erzählreise nach Vietnam und Südostasien“ kannst du eine Geschichte aus Bali hören.

Ich bin mobil, du kannst mich damit buchen!

Mehr dazu: Von Drachengeschichten, Bären und kleinen Vergnügen

Wer schreibt hier:

Ich bin Uschi Erlewein und blogge hier über das Leben als freischaffende Künstlerin. Ansonsten bin ich hauptberufliche Erzählerin und habe mich auf Weltgeschichten aus fernen Ländern spezialisiert. Um die Geschichten gut erzählen zu können, reise ich auch schon mal in die Mongolei, aufs Dach der Welt, nach Kirgistan, Bali oder zu indianischen Erzählern.