Ausbildung zur Geschichtenerzählerin oder hat man das Erzählen im Blut?
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Ausbildung zur Geschichtenerzählerin oder hat man das Erzählen im Blut?

Text © Uschi Erlewein

Aktualisiert: 27. Oktober 2022


Über ihren Blog bin ich mit der Fotografin Gabi Reichert in Kontakt gekommen. Daraus entwickelte sich ein reger Briefwechsel, der sich von der Frage nach meiner Ausbildung zur Geschichtenerzählerin, über anregenden Erfahrungsaustausch bis hin zu einer Art online Erzählcoaching entwickelte.

Seit ich meinen Blog gestartet habe, war Gabi war die erste Bloggerin, mit der die Idee für eine kleine, gemeinsame Aktion entstand. So wird unser Dialog auf unseren Blogs hin- und hergehen. Heute beginne ich mit der Antwort auf Gabi´s Frage:


INHALTSVERZEICHNIS
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Hat man das Geschichten erzählen im Blut?

Gabi: Dein Beruf als Geschichtenerzählerin hört sich klasse an. Ich habe mir deine Webseite mal angesehen und auch ein Video. Beeindruckend!

Hast du eine Ausbildung zur Geschichtenerzählerin gemacht oder hat man das Erzählen im Blut?

Oh, sicher kann man Erzählen lernen! Es gibt zwar auch viele Leute, die es im Blut haben und ohne Ausbildung hinreissend Geschichten erzählen können. Doch ist auch ein Gutteil „Handwerk“ dabei, das man lernen kann.

Um Künstler zu werden musst du ja nicht unbedingt ein Kunststudium machen. So gibt es auch in der Erzählkunst viele Wege, um eine Ausbildung zur Geschichtenerzählerin zu machen und das notwendige Handwerkszeug zu bekommen.

Geschichten erzählen braucht viel Erfahrung und Übung. Und zwar nicht nur daheim vor dem Spiegel, sondern auch vor Publikum. Du brauchst Wissen und Erfahrung. Doch nützt das wenig, wenn man es nicht schafft dranzubleiben, eine gewisse Beharrlichkeit und Ausdauer zu haben und sich nicht durch Misserfolge und Fehler entmutigen zu lassen.

Du bist doch Fotografin und weißt gut, dass man manchmal viele Fotos schiessen muss, um ein wirklich gutes Foto zu bekommen. Es kann passieren, dass du einen glücklichen Moment hast, in dem alles stimmt, das Licht, das Motiv in der Natur. Aber oft musst du stundenlang auf das richtige Licht warten …

So ist das auch beim Erzählen.

Manchmal kaue ich jahrelang an einer Geschichte herum, bis sie reif fürs Publikum ist. Manchmal geht alles leicht und schnell. Wie deine Fotos sind meine Geschichten auch Kompositionen – allerdings haben Geschichten noch weitere Dimensionen, wie Zeit und Raum, Psychologie, Dynamik …

Beitragsfoto: Ausbildung zur Geschichtenerzählerin oder hat man das Erzählen im Blut?

Meine Ausbildung zur Geschichtenerzählerin

Gabi: Wie kann man das Geschichten erzählen lernen? Wie hast du es gelernt?

Meine Ausbildung zur Geschichtenerzählerin ist eine lange Geschichte. Da kommen viele Dinge zusammen, die ich gelernt habe in meinen vielen Ausbildungen.

Ich habe u.a. Malerei/Graphik, Kunsttherapie, Puppenspiel- und Puppenbau studiert, habe Training in verschiedensten Tanzformen, Improvisation, Körpertheater, Maskentheater, Pantomime. Sprecherziehung und Stimmbildung gehörten zu meinem Studium natürlich auch dazu.

Seit vielen Jahren arbeite ich an meiner Stimme am Roy-Hart-Theater. Dort wird nicht nach der „schönen“ Stimme gesucht, sondern nach allen Tönen, mit denen sich die Stimme ausdrücken kann. Das kommt mir natürlich sehr zugute beim Erzählen.

Beitragsfoto: Ausbildung zur Geschichtenerzählerin oder hat man das Erzählen im Blut?

Wichtigste Lehrzeit bei einem Meister

Die wohl wichtigsten Impulse bekam ich jedoch von meinem – leider verstorbenen – Mentor und Theaterlehrer Tony Montanaro (1927-2002) in USA.

Eigentlich war meine Ausbildung zur Geschichtenerzählerin wie eine Lehre bei einem Meister. 

Über 10 Jahre war das Studium bei Tony mein wichtigster Fokus. Manches Jahr war ich 6 Monate in USA, manchmal 3 Monate, manchmal mehrmals im Jahr. Dazwischen arbeitete ich wie wild, um Geld zu verdienen. Verdaute das Gelernte und bereitete neues Material vor, an dem ich mit ihm arbeiten wollte. Sowohl in Gruppen-, als auch Einzelstunden. Für mein erstes Geschichtenprogramm machte Tony Regie. 

Und ich kann dir sagen, es war mehr als intensiv! Vor allem die Einzelstunden!

Tony lehrte grundlegendes Wissen über das Leben, die Kunst und Philosophie. Es waren nicht nur Lehren fürs Theater und das Erzählen. Theater, Kunst und Leben war eins. Dabei gings ganz nett ans Eingemachte! Er hatte einen untrügerischen Blick und gab jedem individuelle Aufgaben, um die eigenen Grenzen zu überwinden.

Beitragsfoto: Ausbildung zur Geschichtenerzählerin oder hat man das Erzählen im Blut?

Erzählen als Kunst

Tony hatte Schüler aus der ganzen Welt: aus Japan, Südafrika, Indien, Kanada, Brasilien, viele aus USA und einige wenige aus Deutschland. Viele von ihnen sind hochprofessionell und international bekannt. Es kamen Künstler aus allen erdenklichen Sparten: Akrobaten, Jongleure, Pantomimen, Magier, Maskenspieler, Pantomimen, Clowns, Opernsängerinnen, Rapper, Schauspieler, Regisseure, Ballettänzer, Jazzmusiker, Klinikclowns … und natürlich viele Erzähler.

So habe ich Erzähler mit den unterschiedlichsten Erzählstilen kennen gelernt. Manche erzählten und verbanden selbst geschriebene Gedichte und traditionelle Märchen mit Jonglage. Ich sah getanzte Geschichten, gesungene, gezauberte und wilde Kombinationen von allem möglichen. Alles auf höchstem Niveau.

Die Herangehensweisen waren so unterschiedlich, wie die Biografien der Erzähler. Das war auch etwas, das uns Tony lehrte: dass jeder seinen persönlichen Stil auf der Bühne entfalten lernte. Ich sage bewusst nicht „entwickeln“, sondern es ging ums „entfalten“ von etwas, das schon in einem angelegt ist.

Storytelling is the highest art form.

sagte Tony immer. Auch, weil sich in der Erzählkunst so viele künstlerischen Elemente verweben und durch die Imagination die Grenzen zwischen den Welten aufgehoben werden.

Ich muss schon sagen, was ich in der Zeit von Tony lernte, ist weit mehr, als jede, noch so gut aufgebaute, Erzählerausbildung vermitteln kann. Es geht nichts über solch eine direkte Einzelarbeit von Meister zu Schüler! Noch heute, nachdem er schon viele Jahre verstorben ist, lerne und verstehe ich vieles von dem, was er mir auf den Weg gab.

Du siehst, meine Ausbildung zur Geschichtenerzählerin bestand also nicht nur aus ein paar Erzähl-Workshops. Es fliesst das Wissen von mehreren Vollzeit-Studiengängen und zahlreichen Fort- und Ausbildungen mit ein. Sowie meine Berufserfahrung von über 30 Jahren als freischaffende bildende und darstellende Künstlerin.

Das waren einige Stationen meines Weges, wie ich zur Erzählerin geworden bin.

Gabi: Bei deinen Erläuterungen kommt heraus, was ich beim Betrachten deiner Webpage und der Videos schon gespürt habe! Das Geschichten erzählen ist eine Kunst, die viele Fertigkeiten kombiniert. Da geht es nicht nur um das Sprachliche, sondern um wesentlich mehr.

Schmetterling und Kokon, Malerei (Mischtechnik) von Uschi Erlewein

Über meine Gesprächspartnerin Gabi Reichert

Neben dem Interesse am Erzählen haben Gabi und ich noch eine weitere Gemeinsamkeit, nämlich das Reisen. Als Fotojournalisten sind die 5 Reicherts sind immer unterwegs, um ihre fantastischen Fotos zu machen. Ich bin auf den Spuren von Geschichten und Erzählkulturen.

Beruflich ist die Familie Reichert viel unterwegs und hat ihre Kinder immer dabei. Deshalb sind die 5Reicherts bekannt für ihre Fotografie, mit dem Schwerpunkt Meer, Leuchttürme, Natur und Nordlicht.

Gabi sagt es immer so: Wir sind nicht trotz der Kinder gereist, sondern den Kindern zuliebe. Gemeinsam die Welt zu entdecken ist das Beste, was man machen kann. 

Wer schreibt hier:

Ich bin Uschi Erlewein und blogge hier über das Leben als freischaffende Künstlerin. Ansonsten bin ich hauptberufliche Erzählerin und habe mich auf Weltgeschichten aus fernen Ländern spezialisiert. Um die Geschichten gut erzählen zu können, reise ich auch schon mal in die Mongolei, aufs Dach der Welt, nach Kirgistan, Bali oder zu indianischen Erzählern.