Mutig Text kürzen - Von Redeschwällen & der Abwesenheit von Worten
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Mutig Text kürzen – Von Redeschwällen & der Abwesenheit von Worten

Text © Uschi Erlewein

Aktualisiert: 21. Januar 2022


Gerade als Erzählerin gehst du mit vielen Worten um. Das Gegenteil ist genauso wichtig: die Pausen und Abwesenheit von Worten. Es gehört auch zum Handwerkszeug, dass du dich damit auskennst, wie man einen Text kürzen kann.

Warum? Für Erzähler ist es wichtig, zu wissen, wie du Geschichten in die richtige Form bringst. Wie du sie auf den Punkt bringst. Es geht beim Erzählen nicht nur darum, dich selber reden zu hören, sondern auch um die Geschichte. Das Märchen, der Mythos, die Legende sollen für das Publikum klar verständlich werden.

Dazu musst du dich entscheiden, was wichtig ist und darauf den Fokus legen.

Artikelfoto: Mutig Text kürzen - Von Redeschwällen & der Abwesenheit von Worten

In der Kürze liegt die Würze

Neulich war ich als Zuschauerin bei einer langen Nacht der Erzähler. Die Erzählerin, die um 19:00 eingeplant war, hatte ihren Auftritt erst 00:30 Uhr! Die letzten mussten noch bis weit nach 02:00 Uhr in der Nacht warten.

Warum? Weil alle Erzählerinnen heillos ihre Zeit überzogen!

Von ihrem langatmigen Erzählen wurden sowohl das Publikum, als auch die Kollegen ganz schön auf die Folter gespannt. Ziemlich unfair für die Erzählerinnen, die so lange in der Warteschleife hingen.

Dieser Abend war mal wieder ein typisches Beispiel für die Notwendigkeit zum Text kürzen.

Da gab es so manche frei erzählte Geschichte, die eine halbe Stunde dauerte. Gut gekürzt auf 10 Minuten, wäre sie spannend, dynamisch und lustig gewesen. Statt dessen war sie gefüllt mit viel zu vielen Worten, in denen das Wesentliche völlig unterging. Die Geschichte wurde zu einem langatmigen Redeschwall, dem das Publikum kaum mehr aufmerksam zuhören konnte.

Kindern erzählt man Geschichten zum Einschlafen – Erwachsenen, damit sie aufwachen.

Jorge Bucay
Rostiges Beil auf blauem Grund, Stilleben beim Färben mit Pflanzen (Foto: Uschi Erlewein, die Geschichtenspielerin )

Entwickle ein Zeitgefühl

Erzählen ist wie Musik, es hat einen Rhythmus. Spiele beim Erzählen mit  der Dynamik: Schnell – Langsam, Laut – Leise, Sprechen – Stille. Gute Geschichten haben eine fesselnde Komposition. Entdecke sie und erzähle so, damit das Publikum diese Komposition live erlebt.

Geschichten dehnen sich aus in der Zeit

Die Zeit ist das Medium, das deinem Erzählen Stuktur gibt. Damit du spannend erzählen kannst, brauchst du den richtigen Umgang mit der Zeit.

Deshalb ist es hilfreich, wenn du fürs Erzählen ein Zeitgefühl entwickelst.

Artikelfoto: Mutig Text kürzen - Von Redeschwällen & der Abwesenheit von Worten

Sei mutig beim Text kürzen

Was viele Geschichtenerzählerinnen nicht im Blick haben, wenn sie von einer schriftlichen Vorlage ausgehen, dass sie zum mündlichen Erzählen diese Texte nicht 1:1, Wort für Wort übernehmen können. Denn diese Geschichten wurden zum Lesen geschrieben und nicht zum Sprechen.

Ausnahmen bestätigen die Regel: Rezitation von literarischen Texten.

Besonders Erzählerinnen, die frei erzählen und gerne reden, empfehle ich: „Achte genau auf deine Worte. Denn in einem Wust von Worten kann das untergehen, was du eigentlich sagen willst.“

Text kürzen ist immer angesagt.

Schneide alles Aufgeblasene und Überflüssige weg. Sortiere aus. Entferne in deinen Texten, wie beim Baumschneiden, wucherndes Gestrüpp und die Wasserschösslinge. So bekommen die wichtigen Äste Licht und tragen Früchte.

Wenn du eine bestimmte Figur aus einem Stück Holz schnitzen willst, kannst du als Künstler die Figur vielleicht schon im Baumstamm erkennen. Doch soll sie für jeden deutlich werden, musst du alles Überflüssige wegschlagen. Erst dann tritt sie auch für Andere klar zum Vorschein. Du musst wissen, welcher Teil des Holzes bleiben muss und was weg kann.

Als Erzählerin ist es so viel einfacher als für den Bildhauer. Du kannst die Form der Geschichte so lange immer wieder verändern, bis du damit zufrieden bist. Das ist zwar Arbeit, aber es lohnt sich.

Sei mutig und setze den Rotstift an. Texte kürzen bringt Klarheit in die Geschichte.

Beil auf blauem Grund, mit Tellern voll Pflanzen - alles zum Färben mit Pflanzen

So lang wie nötig, so kurz wie möglich

Besonders bei persönlichen oder selbstgeschriebenen Geschichten hat man gerne einige Lieblingsteile der Geschichte. Du bist detailverliebt und merkst gar nicht, dass das Publikum gar nichts damit anfangen kann – oder davon verwirrt wird.

Viele meinen, Geschichten seien gut erzählt, wenn sie viele Worte und Adjektive nutzen. Viele Füllworte, Adjektive, „sie sagte“, „er sagte“, machen den Text langatmig.

Nutze statt dessen lieber Pausen und Körpersprache. Das schafft Raum für den Zuschauer, um sich das Gehörte vorstellen zu können und zu reagieren.

Wenn du zum Beispiel eine lustige Geschichte ohne genügend Pausen an der richtigen Stelle erzählst, würgst du die Lacher beim Publikum ab. Eine Reaktion, in diesem Fall das Lachen, braucht Raum und Atem, damit sie sich entfalten kann.

Streiche so viel wie möglich.
Labere nicht herum.
Sei klar und direkt.
Komme zum Punkt.
Alles, das keinen Mehrwert beiträgt:
weg damit!

Uschi Erlewein – Die Geschichtenspielerin
Artikelfoto: Mutig Text kürzen - Von Redeschwällen & der Abwesenheit von Worten

Text kürzen ist nicht immer einfach

Um dir damit zu helfen, hier ein paar Tipps und Fragen, die du dir immer wieder stellen solltest:

Frage dich immer: Um was gehts in der Geschichte, was ist das Wesentliche?

  • Ist dieser Teil Geschichte unbedingt notwendig?
  • Komme ich damit zum Punkt?
  • Bringt dieser Teil die Geschichte weiter?
  • Was kann ich streichen?
  • Beginnt hier eine neue Geschichte?
  • Spiele mit den Kontrasten, beschreibe manches detailreich, anderes äußerst knapp, vieles lass ungesagt
  • Streiche alles, das vom Wesentlichen der Geschichte ablenkt
  • Sei nicht blind vor lauter Verliebtheit in vielleicht überflüssige Details
  • Überlege, was deine Geschichte schwerfällig macht

Wenn du alleine nicht weiter kommst, dann frage jemanden mit Erfahrung. Im Abstand erkennt man vieles einfacher.

Lesetipp:

David Bayles & Ted Orland: Kunst und Angst: Feststellungen über die Gefahren (und Belohnungen) des Kunstschaffens *

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Wer schreibt hier:

Ich bin Uschi Erlewein und blogge hier über das Leben als freischaffende Künstlerin. Ansonsten bin ich hauptberufliche Erzählerin und habe mich auf Weltgeschichten aus fernen Ländern spezialisiert. Um die Geschichten gut erzählen zu können, reise ich auch schon mal in die Mongolei, aufs Dach der Welt, nach Kirgistan, Bali oder zu indianischen Erzählern.

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