Den Spuren des Lebens zuhören
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Den Spuren des Lebens zuhören und die Suche nach dem Alltäglichen

Text © Uschi Erlewein

Aktualisiert: 15. Februar 2022


Immer wieder besuche ich Orte, wo ich mich einspüren und zuhören kann. Hier kann ich mich mit den Dingen verbinden, sie wahrnehmen und mit neuen Augen betrachten. Das ist ganz anders, wie wenn ich ein Buch lese oder einen Film anschaue. Hier kann ich den Spuren des Lebens zuhören, die sich in den Gegenständen zeigen. Die Zeichen lesen, die von langen Lebensjahren mit den Gegenständen erzählen.

Gegenstände können sprechen

Wenn ich mir die alten Hobel in einer Wagnerwerkstatt anschaue, abgeschliffen vom Immer-wieder-in-die-Hand-nehmen. Wie schön geschwungen sie sind!

Sowohl schön in der Form, als auch funktional. Die Form des Hobels veränderte sich durch die Hand der Menschen, die ihn benutzten.

Wenn so ein Werkzeug von Generation zu Generation gebraucht wird, dann steckt es voller Leben und Erfahrungen.

In den Spuren vom Gebrauch kannst du lesen und einiges über die Menschen erahnen.

Es spricht ohne Worte von denen, die es tagtäglich benutzten. Da erzählt mir der Hobel vom Griff der Hand über lange Jahre, erzählt von der Mühe und dem Schweiß, der in jedes Werkstück geflossen ist.

Alte Gegenstände haben ein Gesicht. Manche haben Charakter, wie eine Theaterfigur. Sie haben eine Persönlichkeit, die zu dir spricht. Du brauchst nur zuhören.

Ja, Gegenstände können sprechen!

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Spuren des Lebens und die Unvollkommenheit

Bei uns ist es heute tabu, dass die Spuren des Alterns zu sehen sind. Deshalb wird alles schnell renoviert und die Spuren des Lebens mit einer frischen Schicht Farbe überdeckt.

Unser Hang zur Perfektion ist überall gegenwärtig. Jedes Fältchen, jede Hautveränderung wird mit Schminke und Bildbearbeitung getilgt. So makellos wird Schönheit langweilig und vor allem leblos. Selbst Wahlplakate von Politikern werden so „geschönt“.

Statt die Zeichen des Alters zu würdigen, vertuschen wir die Spuren des Lebens.

Inspiration des Benutzten, Unperfekten

Wenn etwas Gebrauchsspuren hat, atmen diese Falten und Narben, die Kerben und Farbflecke, den Duft des Lebens.

Gerade die kleinen Dinge des alltäglichen Lebens neu zu entdecken und die Schönheit darin wahrzunehmen, ist mir eine liebe Herausforderung.

Unbeachtete Dinge, deren Schönheit sich oft erst auf den zweiten Blick offenbart. Unauffällig und leicht zu übersehen.

Leise, subtil und dezent. Es ist eine herbe Schönheit. Sie drängt sich nicht in den Vordergrund. Diese Schönheit ist verborgen in der Hülle des Unscheinbaren.

Es ist das Benutzte, Unperfekte, voller Fingerspuren und Marken des Lebens, das mich inspiriert. Da finde ich Geschichten

Das Leben spricht aus benutzen Dingen. Du siehst die Spuren der Zeit, die jemand mit dem Gegenstand verlebte. Das Ding trägt den Atem der Menschen, trägt ihr Leben in sich.

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Zwischen den Zeilen des Alltäglichen lesen

Es ist das Alltägliche, das mich fürs Erzählen inspiriert.

Schuhe, die von den Füßen erzählen, die vom Stall auf den Acker wanderten. Schränke, für Generationen gemacht, bemalt und geschnitzt, die von der Liebe der Brautleute erzählen.

Der ein Leben lang benutzte Kochlöffel meiner Mutter. Der Besen einer Linkshänderin. Ein Strauß rote Rosen, der am Strassenrand der Autobahn liegt.

Rissige fleckige Wände. Farbflecken am Boden. Teeschalen, die alle nicht exakt gleich sind. Länder, in denen nicht alles zur Puppenstube renoviert wurde, inspirieren und regen meine Kreativität an. Deshalb reise ich gerne.

Zwischen den Zeilen sehe ich plötzlich was ganz Anderes, Neues. Das sich dann in meiner künstlerischen Arbeit ausdrückt.

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Ja, bei meinem letzen Besuch im Freilichtmuseum Neuhausen wurde mir etwas sonnenklar:

Es ist das Leben, das mich interessiert.

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Und …

vielleicht und lauert ja auch die eine oder andere Geschichte in den alten Gegenständen und wartet darauf einen Platz in meinem schwäbisches Erzählprogramm zu bekommen …

Übrigens war ich bereits 3 Mal als Geschichtenspielerin für den Märchentag im Freilichtmuseum Neuhausen ob Eck engagiert.

Wer schreibt hier:

Ich bin Uschi Erlewein und blogge hier über das Leben als freischaffende Künstlerin. Ansonsten bin ich hauptberufliche Erzählerin und habe mich auf Weltgeschichten aus fernen Ländern spezialisiert. Um die Geschichten gut erzählen zu können, reise ich auch schon mal in die Mongolei, aufs Dach der Welt, nach Kirgistan, Bali oder zu indianischen Erzählern.