Erinnern, Zeitreise in die Vergangenheit
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Erinnern – Zeitreise in die Vergangenheit

Text © Uschi Erlewein

Aktualisiert: 1. August 2021


Es ist die Möglichkeit eine Zeitreise zu machen, die mich an Orte, wie das Freilichtmuseum Neuhausen, führt. 

Nostalgie nach der „Guten alten Zeit, in der noch alles besser war“ ist mir fremd. Ehrlich gesagt, sehne ich mich nicht zurück in ein altes Bauernhaus, wo der Schnee durch die Ritzen pfeift und Eisblumen im Wohnzimmer an der Wand blühen, trotzdem der Ofen glüht.

Glaub mir, ich weiß, von was ich rede! Noch gut kann ich mich an die langen Jahre erinnern, in denen ich in solch einem alten Bauernhaus gewohnt habe. Ich kann dir sagen, heute bedanke ich mich jeden Winter bei meiner Zentralheizung für ihre Dienste!

Also, warum besuche ich Museen?

Was genau interessiert mich an alten Dingen und Museen der Alltagskultur?

An solchen Orten finde ich Anstöße, um zu erinnern. 

Hier kann ich Zeitreisen machen und Bilder, Gefühle, Erfahrungen in meinem Innern finden. Die Gegenstände und Häuser im Freilichtmuseum helfen mir, so dass ich ganz abtauchen kann, in die jeweilige Situation und tief in meine Erinnerungen. 

Küche im Freilichtmuseum Neuhausen

Die Gegenstände erzählen mir die Geschichten meiner Großmutter neu

Etliche Dinge aus dem Bauernmuseum kenne ich noch gut aus meiner Kindheit, habe sie im alltäglichen Gebrauch erlebt.

Vor allem bei unseren Verwandten auf dem Land, waren die Schmalztöpfe gefüllt mit süß-sauren Gurken, das Brot wurde im Backhäusle gebacken und im Keller lag das Fass mit Most.

Ich kann mich auch noch gut an den Wasserstein in unserer Küche erinnern. Den hätte ich gerne wieder und würde jede Edelstahlspüle dagegen eintauschen.

Erinnerungen tauchen auf, an meine Kindheit, an die Geschichten, mit denen ich aufgewachsen bin, wenn meine Oma von Früher erzählte. Sicher war all das, was sie mir aus ihrer Kindheit erzählte, in ähnlicher Umgebung geschehen.

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Zeitreise in die Kindheit

Im Kaufhaus Pfeiffer in Neuhausen gefällt mir das Nebeneinander von Waren aus fast einem Jahrhundert. Neben Originalpackungen von Damenunterwäsche aus den 50er Jahren – „Mein-Hüfthalter-bringt-mich-um“- liegt ein Nyltest-Hemd und Faschingsdeko aus den 70er Jahren. Ich sehe Kartons im Stil der Jahrhundertwende und 60er Jahre Werbung für Muckefuck Malzkaffee.

Die Waage, Registrierkasse, Bonbongläser, wie bei meiner Tante Anna. Ja, meine Tante Emma hieß in Wirklichkeit Tante Anna. Sie hatte einen kleinen Dorfladen und war die beste Freundin meiner Oma.

Im Regal entdecke ich eine Seife von der Seifenfabrik, neben der meine Tante wohnte. Wenn die Tante nasse Wäsche im Garten aufhängte, war nach einem Tag genügend Seifenpulver aus der Luft auf die Wäsche gefallen, dass die Wäsche mit „himmlischer Seife“ gewaschen werden konnte. Waschpulver brauchte die Tante keines kaufen.

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Erinnerungen an meinen ersten Job

Auch daran erinnere ich mich noch sehr gut, wie ich als kleines Mädchen regelmäßig im Konsum-Laden half. Damit verdiente ich meinen ersten Lohn: eine Kinderhand voll Karamelbonbons. Oft sortierte ich Tüten ein oder ich war im Lager, um Zucker oder Mehl abzuwiegen.

Im Konsum-Laden lernte ich mit der Waage umzugehen. Aus dem Zentnersack das Mehl in eine Papiertüte schaufeln und in die eine Waagschale legen. In die andere Schale das große, schwere Eisengewicht stellen und warten, bis die beiden Schalen im Gleichgewicht waren. Dann die Tüte so zufalten, damit sie sich nicht wieder öffnet. Nächste Tüte füllen, bis der Zentnersack leer und alles in Pfund- oder Zwei-Pfund-Tüten abgepackt war.

Nudeln gab es schon fertig abgepackt, nicht in Papiertüten, sondern in durchsichtigem Cellophan. So konnte ich zwischen den Nudeln die Gratisbeigabe sehen. Es war Puppengeschirr aus Plastik, Teller, Tässchen in Hellblau.

Erinnern - Zeitreise in die Vergangenheit

Erinnern

nach innen schauen
inne werden lassen
wissen machen
er-innern

Er-innern. Ja, es geht darum einen bewussten Zugang zum Inneren zu bekommen.

Dinge, Erlebnisse, Farben, Gerüche verinnerlichen. Eindrücke sammeln, innere Bilder erschaffen, das episodische Gedächtnis füttern. Sich in andere Personen hinein versetzen, in andere Lebensformen einfühlen.

Dabei geht es nicht nur darum persönliche Erinnerungen zu aktivieren, sondern auch Erinnerungen anderer zu sammeln.

Wenn ich durch die Räume der alten Häuser gehe, stelle ich mir vor, wie die Menschen darin gelebt haben. Erinnerung und Fantasie wohnen sehr nahe beisammen.

Ich sehe auf meiner Zeitreise Szenen vor mir, die sich vielleicht abgespielt haben. Ich nehme mir oft Zeit, schaue mir alte, benutzte Alltagsgegenstände an, um mich empathisch einzuspüren und zu hören, was die Dinge mir vom Leben erzählen.

Der Neurologe Dr. Oliver Sacks sagt dazu:

„Erinnerung ist niemals nur simple Aufzeichnung oder Reproduktion, sondern ein aktiver Prozeß der Rekonstruktion und Phantasietätigkeit.

Oliver Sacks:  Die Insel der Farbenblinden *

Das Erinnern muss fliessen, wenn du erzählen willst

Leider weiß ich nicht von wem dieses Zitat stammt (weißt du es?), doch trifft es genau das, was ich meine.

Vielleicht ist das Erzählen das Flussbett des Erinnerns

Das Erinnern formt das Erzählen, wie das Wasser sein Flussbett formt.
Umschliesse ganz die Erinnerung, wie das Flussbett das Wasser.
Eines bedingt das andere.
Wenn es kein Wasser im Fluss gibt, verdorrt das Leben.
Wenn du nicht erinnerst, wird dein Erzählen nur trockene Form sein.
Nur, wenn ich mich an selbst erlebte Dinge erinnern kann und die kleinsten Details im Geiste vor mir sehe, kann ich so lebendig erzählen, dass meine Zuschauer sich alles vorstellen können.

Ich nehme mir regelmäßig Zeit um zu erinnern, um zu schauen, zu beobachten.

Mein Tipp für dich: Geh immer mal wieder auf eine Zeitreise. Nimm dir immer wieder Zeit zum Erinnern und wandere durch deine persönliche Bilderwelt. Es lohnt sich!

Erinnern fördert die Kreativität und ist eine notwendige Fähigkeit für Künstler. Besonders für Geschichtenerzähler sind solche Zeitreisen in Gedanken wie die Luft zum Atmen.


Lesetipp:

Oliver Sacks: Die Insel der Farbenblinden: Die Insel der Palmfarne *

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Wer schreibt hier:

Ich bin Uschi Erlewein und blogge hier über das Leben als freischaffende Künstlerin. Ansonsten bin ich hauptberufliche Erzählerin und habe mich auf Weltgeschichten aus fernen Ländern spezialisiert. Um die Geschichten gut erzählen zu können, reise ich auch schon mal in die Mongolei, aufs Dach der Welt, nach Kirgistan, Bali oder zu indianischen Erzählern.

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